Geschichte der Domowina

100 Jahre Domowina – Bund Lausitzer Sorben, von Dr. Peter Schurmann, Sorbisches Institut/Zweigstelle für niedersorbische Forschungen Cottbus

Am 13. Oktober 1912 wurde die DOMOWINA als «Dachverband wendischer Vereine und Verbände» in Hoyerswerda/Wórjejce gegründet. Anwesend waren 60 Vertreter von 31 Vereinen mit zusammen mehr als 2.800 Mitgliedern. Der aus Schorbus/Skjarbošc stammende Pfarrer Gotthold Schwela/Bogumił Šwjela hob als eine der Hauptaufgaben der Domowina hervor, die Verständigung der sorbischen Verbände untereinander zu verbessern und diese in ethnisch-nationalen Belangen so zusammenzuführen, dass sie sich als «Söhne eines Volkes» fühlen. Schwela hatte die bereits vor 1900 geborene Idee der Gründung eines Dachverbandes aktiv unterstützt und den poetischen Namen Domowina – abgeleitet von Heimat/domownja – vorgeschlagen. In den vorläufigen Vorstand wurden der Kaufmann Ernst Barth/Arnošt Bart (Vorsitzender) und der Lehrer Franz Krahl/Franc Kral (Generalsekretär) aus der Ober- sowie Friedrich Rocha/Fryco Rocha, Lehrer in Tauer/Turjej, der Gulbener Lehrer Heinrich Jordan/Hajno Jordan und Gotthold Schwela/Bogumił Šwjela aus der Niederlausitz gewählt. Am 9. Februar 1913 trafen sich die Delegierten von 15 Vereinen erneut in Hoyerswerda, um die Gründung der Domowina zu vollenden. Hier wurden die Satzung präzisiert und die Arbeitsvorhaben konkretisiert. «Das Ziel dieses Vereins soll - kurz gesagt - darin bestehen: Tätigkeit für die Erhaltung des Wendentums, zur Belebung unserer wendischen Vereine und aller ihrer Mitglieder». Als Vorsitzender wurde Ernst Barth bestätigt; in den Vorstand wurden als sein Stellvertreter der zeitweilig in Nochten/Wochozy tätige Pfarrer Gotthold Schwela, der Lehrer Georg Melzer/Jurij Słodeńk aus Panschwitz-Kuckau/Pančicy-Kukow als Schriftführer, der Redakteur und Verleger August Lapstich/Awgust Lapštich aus Hoyerswerda als sein Stellvertreter und der Lohsaer Kaufmann Johann Hajesch/Jan Haješ als Kassierer gewählt. Im Zuge der Wiederbelebung der Tätigkeit der Domowina nach dem Ersten Weltkrieg wurden 1921 in Sachsen Gebietsverbände (župa) gebildet, so in den Kreisen Bautzen/Budyšin («Jan Arnošt Smoler»), Kamenz/Kamjenc («Michał Hórnik») und Hoyerswerda («Handrij Zejler»), die nach verdienstvollen sorbischen Persönlichkeiten benannt wurden. In der Niederlausitz gelang dies nicht. Ab Ende 1933, unter dem neuen 25-jährigen Vorsitzenden, dem aus Kotitz/Kotecy bei Bautzen stammenden Lehrer Paul Nedo/Pawoł Nedo, gab es jedoch Bemühungen, die Domowina über den Kontakt mit Pfarrer Schwela zumindest in dessen niedersorbischer Kirchgemeinde Dissen-Striesow/Dešno-Strjažow bekannt zu machen und organisatorisch zu verankern. Dies blieb angesichts der Maßgabe der NS-Wendenabteilung, «das Wendentum restlos mit dem deutschen Gedanken zu durchdringen», allerdings erfolglos. Der Dachverband, der unter Führung Nedos die Einzelmitgliedschaft eingeführt hatte, präsentierte sich nun auch über seine neuentstandenen Ortsgruppen mit ihren Vertrauensleuten an der Spitze als Organisation unter der Bezeichnung Domowina-Bund Lausitzer Wenden, ab 1935/36 -Bund Lausitzer Sorben. Im März 1937 wurde ihr durch den Kreishauptmann von Bautzen das Versammlungs- und Veranstaltungsverbot ausgesprochen. Die Interessenvertretung der Sorben für die slawische Minderheit in der Lausitz hatte es konsequent abgelehnt, den Passus «Bund wendisch-sprechender Deutscher» und somit die Zuordnung als «deutscher Stamm» in ihre Statuten aufzunehmen. Am 10. Mai 1945 nahm die Domowina ihre Organisationstätigkeit im oberlausitzischen Crostwitz/Chrósćicy wieder auf. 1946 gelang es auch in Werben/Wjerbno, die Domowina erstmals in der Niederlausitz zu gründen. Der sich hier als «Heimatbewegung» präsentierende Bund Lausitzer Sorben sah sich als Nachfolger der bis 1937 bestehenden und nach dem Krieg für kurze Zeit an die Öffentlichkeit getretenen Maśica Serbska, des 1880 in Cottbus begründeten «wendischen Buchvereins». Während die Domowina in Sachsen von Anfang an durch die sowjetischen und deutschen Behörden vielerorts toleriert und unterstützt wurde und innerhalb weniger Monate ein breites Netz von Ortsgruppen und Regionalverbänden aufbauen bzw. erneuern konnte, darunter auch in den Kreisen Löbau/Lubij und Niesky/Niska, gestattete die brandenburgische Landesregierung der Domowina erstmals im Jahr 1949, in der Niederlausitz tätig zu werden. Ein Jahr später entstanden die ersten Ortsgruppen, die sich ab 1953/54 im Bezirk Cottbus – ähnlich wie zuvor im Land Sachsen bzw. im Bezirk Dresden/Drježdźany – zu den Kreisverbänden Cottbus/Chóśebuz, Guben-Forst/Gubin-Baršć, Calau-Lübben/Kalawa-Lubin und Spremberg/Grodk zusammenschlossen. 1991 vereinigten sich diese vier wieder zu einem Regionalverband Niederlausitz/župa Dolna Łužyca. Aktuell zählt die Domowina als anerkannte Interessenvertretung der Sorben/Wenden in Brandenburg und Sachsen über 7.000 Mitglieder. Sie ist in fünf Regionalverbänden mit etwa 5.000 Mitgliedern in 82 Domowina-Ortsgruppen und 61 Vereinen sowie 13 überregionalen Vereinen mit über 2.000 Mitgliedern organisiert. Hinzu kommen Vereinigungen aus Tschechien und Polen sowie aus den USA und Australien als assoziierte Mitglieder. Die Entscheidung, vor mehr als 100 Jahren einen Dachverband sorbischer/wendischer Vereine zu gründen, wie wir ihn seit 1990/91 wieder haben, war vielleicht der mutigste Schritt der Sorben/Wenden in ihrer Geschichte. 1912 hatte es Zweifel selbst bei den Initiatoren gegeben, weil es sowohl an fähigen Leuten als auch an Enthusiasmus in den eigenen Reihen fehlte. Trotzdem wurde die Gründung der Domowina vollzogen. In den folgenden Jahrzehnten hat sie – dank einer breiten Verankerung über ihre Ortsgruppen und Vereine mit der Basis – erfolgreich dazu beigetragen, dass auf die ethnisch-nationalen Belange des sorbischen Volkes und auch der weiteren drei anerkannten, autochthonen Minderheiten in Deutschland geachtet wird. Unter dem im März 2011 gewählten 27-jährigen Vorsitzenden David Statnik/Dawid Statnik aus Ralbitz/Ralbicy wird die Diskussion über die vielerorts anerkannte politische Vertretung der Sorben – ob als Körperschaft öffentlichen Rechts oder fernerhin als eingetragene Vereinigung – fortgeführt, jedoch stärker auf Inhalte fokussiert; die Domowina strebt in beiden Bundesländern mehr Mitsprache und Eigenverantwortung an.